Nur selten wird eine Königin der Instrumente gebaut. Und noch viel seltener kann man als Gemeindemitglied Zeuge werden, wie dieses Wunderwerk aus Pfeifen, Holz, Metall, Leder und ausgefeilter Technik entsteht. Zunächst beim Orgelbauer, später beim Aufbau in der Kirche. Eine Gruppe der katholischen Gemeinde Allerheiligen in Nürnberg hat die neue Orgel in der Eifel besucht…
„Ist die riesig!“ Das hört man nicht nur einmal an diesem Vormittag. Beeindruckt steht die Orgel-Reisegruppe vor dem neuen, modernen Prospekt des Instruments, der sich in zwei Teile gliedert. Fast komplett aufgebaut stehen die gigantischen Holzgehäuse in einer Werkstatthalle der Orgelbaufirma Weimbs in Hellenthal. Vom Fundament aus gleiten die Blicke langsam an den Aufbauten entlang und immer höher, bis die Köpfe der Betrachter im Nacken liegen. Staunen rundum.
Auch der Orgel-Spieltisch mit seinen drei Manualen (Tastaturen) ist rasch von Interessierten umgeben. Daran spielen sie dann also, die Organisten, mit Händen und Füßen. Und in diesen mehr als acht Meter hohen Holzgehäusen befinden sich später alle Pfeifen, die Register, die Traktur mit ihren kniffligen Verzweigungen, viel Technik und… „Ein Werkstattkonzert ist leider nicht möglich“, stoppt Frank Weimbs verschmitzt die Besucherträume. „Nicht alle kleinen und kleinsten Einzelteile sind aktuell eingebaut, und die Pfeifen werden erst in der Kirche intoniert.“ Intoniert?
In Ton und Klang wird jede einzelne Pfeife jedes Registers – auch die verschiedenen Register untereinander – an den Kirchenraum angepasst und harmonisiert. „Diese klangliche Abstimmung dauert beim Orgelaufbau am längsten“, bereitet Weimbs seine gebannt lauschende Zuhörerschaft auf diese Phase vor. „Wenn die Orgel äußerlich bereits fertig aufgebaut erscheint, fragt sich der Laie häufig: Was machen die denn noch so lange?“
Er erntet Schmunzeln. Weimbs weiß genau, dass nur wenigen Leuten bewusst ist, wie komplex eine Kirchenorgel zusammengesetzt ist und wie viele Teile zusammenspielen müssen, damit dieses Rieseninstrument so unglaublich variable Klänge erzeugen kann. Schließlich ist Weimbs der Erbe einer rund 600-jährigen Geschichte des kontinuierlichen Orgelbaus in der Eifel.
Die frühesten gesicherten Informationen stammen von 1537. Über die Jahrhunderte hinweg wechseln die Namen der Orgelbauer – von 1927 an führt die Familie Weimbs die Tradition fort: Josef Weimbs d. Ä., Urgroßvater von Frank Weimbs, gründet die Firma; doch schon dessen Vater war im Orgelbau tätig gewesen.
Generationen später kehrt 1998, nach erfolgreicher Meisterprüfung, Frank Weimbs in den väterlichen Betrieb nach Hellenthal zurück, baut und restauriert wie seine Vorfahren historisch bedeutende Orgeln und entwickelt das heute weltweit tätige Unternehmen weiter. Ein neues Werkstattgebäude entsteht und neben der Pfeifenwerkstatt eine hauseigene Pfeifenmetall-Gießerei. Die möchten die Besucher aus Nürnberg natürlich sehen. Schon auf dem Weg dahin sehen, staunen und lernen sie eine Menge, eröffnet sich hinter dem aufgebauten Orgel-Prospekt doch eine große Schreinerei mit Tischlerbänken, vielerlei Maschinen, Werkzeugen und fertigen Holzpfeifen.
Wie viel Handarbeit in einer Orgel steckt! Fachleute und Azubis arbeiten konzentriert, über ihnen prangen an den hohen Wänden großformatigen Bilder fertiger Orgeln. Weiter geht’s, zum Holzlager.
Enorm breit und lang sind die Bretter, die sich hier im Freien unter Dach stapeln. Weimbs Zuhörerschaft erfährt, auf welche Art und wie lange das Holz trocknen muss. Dass Eiche, Fichte, Kiefer, Esche und weitere Holzarten verbaut werden, und dass der Mond beim Fällen gut oder schlecht stehen kann.
„Uns geht es nicht um schnelle Trocknung. Wir brauchen schädlingsresistentes Holz und achten darauf, dass es nicht in der Wachstumsphase geschlagen wird, da ist es anfälliger für Schädlinge. Neumond ist besonders gut.“ Weimbs kneift die Augen zusammen. „Man muss einen Holzhändler haben, dem man vertraut!“ Anekdoten? Gibt es, klar. Man lernt daraus. „Eichen- und Eschenholz sind eine Wissenschaft für sich!“
Die Fichte kommt aus der Alpenregion, die Kiefer bezieht die Firma aus Schweden und Norwegen. „Durch die Kälte dort wachsen die Bäume langsamer, und das Holz erhält eine schöne Maserung.“
Nun endlich ist es so weit: Weimbs öffnet die Türen zur Gießerei, in der Mitarbeiter das Material für den Metallpfeifenbau herstellen. Die Pfeifen für die Nürnberger Orgel bestehen zu 30 bis 85 Prozent aus Zinn, der Rest ist Blei, erfährt die Gruppe. „Enthalten Pfeifen mehr Blei, erklingen sie weicher.“ Die Besucher betrachten den leichten Goldschimmer von 99,99-prozentigem Zinn, das gestapelt neben ebenso reinem und zu 50 Prozent recyceltem Blei liegt.
Wie die Platten für die Pfeifen entstehen? „Im Grunde wie anno dazumal, nur das Thermometer ist heute digital“, sagt Weimbs lächelnd. Sechsmal im Jahr wird gegossen. Er informiert über die Werkzeuge und den Kessel, in dem die Legierungen zusammengeschmolzen und getestet werden, verweist auf glänzende Metallrollen in drei verschiedenen Plattenstärken und zeigt, wo sie auf die jeweils benötigte Dicke gehobelt werden. Warum das alles? „Wir wollen die Qualität der Pfeifen selbst bestimmen!“
In der Pfeifenwerkstatt geht es um die Tonentstehung, die Besonderheiten und die Beschaffenheit verschiedener Pfeifen, um „Aufschnitthöhen“, „Kernspaltenweiten“, seitlich angebrachte „Bärte“, über gedeckte Pfeifen, Labial- und Zungenpfeifen und deren Längen. „Alles hat Einfluss auf Klang, Ton und Schall“, gibt Weimbs zu bedenken. „Je länger die Pfeife, desto tiefer der Ton. Beim Stimmen, das regelmäßig am fertigen Instrument erfolgt, wird die Länge des Körpers verändert. Die Intonation der Pfeifen aber ist einmalig! Sie zeigt die Kunst des Orgelbauers.“ Deshalb dauert diese Harmonisierung auch Monate.
Wer möchte, stellt sich in einem Lagerbereich noch neben die riesigen, für sehr tiefe Töne sorgenden Metallpfeifen, die bereits zum Verpacken für den Transport nach Nürnberg bereitstehen – und fühlt sich winzig. Oder man wirft gemeinsam mit dem Konstrukteur noch einen Blick auf die Konstruktionspläne... Wem nach allem, was über den Entstehungsprozess des größten Instruments zu erfahren war, noch nicht der Kopf schwirrte, ist nun endgültig überwältigt. Die Neugier der Besucher auf den Klang und die Gesamtoptik „ihrer“ neuen Orgel ist wohl kaum mehr zu steigern.
Inzwischen ist die Orgel in der Eifel abgebaut und in transportable Einzelteile zerlegt, um auf der Empore von Allerheiligen endgültig Gestalt anzunehmen. Am 4. und 5. Februar rollen die ersten Lkw vor den Türen der Kirche an – auch Gemeindemitglieder werden beim Ausladen mit anpacken.
Bis Ostern soll die Orgel optisch fertiggestellt sein, erst dann beginnt die langwierige und so entscheidende Phase der Intonation. So feiert die Gemeinde Ostern zwar in der frisch sanierten Kirche – doch erst am 21. September wird die ersehnte neue Königin der Instrumente erklingen und feierlich eingeweiht werden.
Text: Anabel Schaffer
Fotos: Tilmann Grewe